Automatisierter Realfahrversuch

Für die Bewertung heutiger Fahrerassistenzsysteme und zukünftiger hochautomatisierter Fahrfunktionen wird auch weiterhin auf klassische Realfahrversuche im Straßenverkehr und solche unter laborähnlichen Bedingungen auf Testgeländen zurückgegriffen werden. Es ist auch langfristig nicht absehbar, dass diese Prüfungen virtuell erfolgen werden, meinen die Autoren der Auto Mobil Forschung Dresden (AMFD).

Motivation

Nur mit Realfahrversuchen kann die Wirkung aller Systeme im realen Fahrzeug in standardisierten Testszenarien, beispielsweise nach den Richtlinien des EuroNCAP [1], konstant und reproduzierbar nachgestellt werden. Dies ist insbesondere für die Homologation einer neuen Fahrzeuggeneration von hoher Bedeutung und nach heutiger Gesetzgebung ein unumgänglicher Bestandteil des Zulassungsprozesses. Tatsächlich steigt aber der Testaufwand aufgrund der zunehmenden Zahl an Fahrzeugsicherheitsfunktionen in heutigen und zukünftigen Fahrzeuggenerationen an. Somit steigt auch der konkrete Bedarf an einem Gesamtsystem, das die Durchführung dieser Tests effizient und prozesssicher ermöglicht.

Partnerschaft zur Durchführung automatisierter Realfahrversuche

Die Driveability Testing Alliance (DTA) ist eine Kompetenzpartnerschaft beste- hend aus vier Firmen (Auto Mobil Forschung Dresden (AMFD), GeneSys Elektronik, Stähle, Dewetron). Die Partnerschaft bündelt deren Know-how in einer Plug-and-Play-Komplettlösung mit allen benötigten Hard- und Softwarekomponenten. Damit lassen sich die umfangreichen Testszenarien und die zugehörigen Bewertungsschemata effizient, mit festgelegter Ergebnisqualität, in definierter Zeit und somit prozesssicher durchführen. Der Einbau der benötigten Hardware ist schnell für nahezu alle Fahrzeugklassen möglich. Es müssen keine Änderungen am zu testenden Fahrzeug vorgenommen werden.

Aufbau und Funktionsweise des Komplettsystems

Aufgrund strenger Testregularien, beispielsweise seitens des EuroNCAP, ist es notwendig, während der Versuchsdurchführung Randbedingungen zur Fahrzeuglängs- und querführung fortwährend einzuhalten, wodurch die Reproduzier- und Vergleichbarkeit der Tests gewährleistet werden können. Dieser Umstand impliziert direkt die Verwen- dung von Fahrrobotern, die gegenüber dem Fahrer über ein deutlich feineres Regelvermögen verfügen. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Einhaltung der Testgeschwindigkeit in einem Toleranzbereich von ±0,5 km/h oder der Toleranzbereich der Querablage zur Fahrtrajektorie von ±5 cm erwähnt. Hierfür bietet die Stähle GmbH Lenk-, Gas- und Bremsaktuatoren zur testweisen Installation im Fahrzeug an und greift dabei auf ihre langjährigen Erfahrungen aus den Bereichen zur automatisierten Steuerung von Fahrzeugprüflingen auf stationären Prüfständen zurück. Diese Aktuatoren zur Fahrzeugführung werden über einen Controller gesteuert, der die Steuersignale entsprechend einem eingegebenen Fahrprogramm ermittelt. Dieses Fahrprogramm, auch Set-up genannt, existiert für jedes Testszenario und ermöglicht dadurch die konstante und reproduzierbare Durchführung aller Testszenarien. Der Controller greift dabei auf die Sollgrößen aus dem Programm und die in Echtzeit ermittelten Ist-Messwerte zurück, vergleicht diese und regelt Differenzen anschließend aus.

Für diese Regelung benötigt die Robotik exakte, zeitsynchrone und verlässliche Messdaten. Zu diesen gehören die Positionen, Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und weitere Messgrößen, um damit die Ist-Werte zur Regelung bereit- stellen zu können. Hierfür wird ein GPS- gestütztes Ortungssystem verwendet, das unter Einbeziehung von Korrekturdaten und durch die überlagerte Integration der Fahrzeugbeschleunigungen eine Positionsgenauigkeit von ±1 cm ermöglicht. Weiterhin ist es zum Beispiel für Car-to-Car- (Auffahren des zu testenden Fahrzeugs auf ein stehendes, bewegtes oder verzögerndes Fahrzeug) oder VRU-Versuche (Vulnerable Road Users: schwache Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Fahrradfahrer) notwendig, die Daten zwischen zwei Objekten per Wlan auszutauschen und diese miteinander zu verrechnen. Die damit generierten Delta-Größen, die auf diverse POIs (Points of Interest: Referenzpunkte) in oder an den Objekten referenziert sein können, ermöglichen anschließend eine Kollisionsdetektion mit zugehöriger Differenzgeschwindigkeit beider Kollisionspartner und damit die prozesssichere Auswertung der relevanten Testparameter.

Die zeitsynchrone Bereitstellung von Messgrößen verschiedener Objekte innerhalb des Testszenarios ist Aufgabe der Messtechnik der Firma GeneSys Elektronik GmbH. Die Aufzeichnung und Verarbeitung der Messdaten erfolgen in einem Messrechner der Firma Dewetron GmbH als zentraler Schnittstelle aller Komponenten. In dessen Software zur Datenaufzeichnung sind ähnlich zur Robotik Set-ups hinterlegt, die für jedes Testszenario die spezifisch benötigten Messdaten aufzeichnen und zudem allgemeine Informationen (sogenannte Headerdaten) in das Messdaten-Datei integrieren. Bei Headerdaten handelt es sich um allgemeine Informationen zur Testspezifizierung (Testgeschwindigkeit, Überdeckung, verbaute Systeme etc.)

Mithilfe der genannten Komponenten ist die Testdurchführung möglich, jedoch sind die Abläufe in der Testdurchführung komplex, und die Auswertung der Messdaten obliegt dem Anwender. Entscheidend ist jedoch die Berechnung der erreichten Punktzahl entsprechend der Testspezifikation, um das Fahrzeug bewerten und damit im Sinne eines Verbrauchertests vergleichbar machen zu können, was dem eigentlichen Ansinnen des Tests entspricht.

Im Verbund der DTA agiert die AMFD (Auto Mobil Forschung Dresden GmbH) als Dienstleister, indem sie die konkrete Durchführung dieser entwicklungs- und absicherungsbegleitenden Tests nach den Richtlinien des EuroNCAP übernimmt und das Post-Processing der aufgezeichneten Messdaten für die Bewertung des Fahrzeugs vornimmt. Möglich wird dies durch eine skriptbasierte Auswerteroutine, die in der Lage ist, bereits während der Testdurchführung eine Aussage zur Qualität der Messdaten treffen zu können, inwiefern die Randbedingungen erfolgreich eingehalten werden konnten und welches Ergebnis das Fahrzeug eingefahren hat. Fehlgeschlagene Tests können auf Basis dieser Erkenntnisse direkt wiederholt werden, wodurch eine vollständige und valide Aufzeichnung aller benötigten Messdaten sichergestellt werden kann.

Weiterhin besteht die Möglichkeit, zwischen der eben genannten vollumfänglichen Durchführung der Versuche inklusive der Vor- und Nachbereitung oder einer reduzierten Version in Form von Schulungen oder Trainings zu wählen, bei denen der Kunde angeleitet wird, die Tests in Eigenregie durchführen zu können. Mit diesem Angebot erweitert die AMFD als Transfergesellschaft des Lehrstuhls für Kraftfahrzeugtechnik der TU Dresden ihr Spektrum an Entwick- lungsdienstleistungen in den Bereichen der Fahrzeug- und Verkehrssicherheit, aber auch der Fahrdynamik und des Fahrkomforts, der Betriebsfestigkeit und NVH sowie in der Materialforschung und der Materialalterung.

Versuche des Euroncap-Safety-Assist

Die entwickelte Soft- und Hardware-Komplettlösung erlaubt die Untersuchung eines beliebigen zu testenden Fahrzeugs unter allen aktuellen Testszenarien, wie sie vom EuroNCAP im Bereich des Safety Assist (Kapitel: Wirksamkeitsbewertung aktiver Fahrzeugsicherheitssysteme) gefordert werden. Zu diesen gehören Versuche zur Bewertung der Wirksamkeit von warnenden oder automatisch eingreifenden Notfallbremsassistenten wie Forward Collision Warning, Autonomous Emergency Braking, Car-to-Car, Vulnerable Road Users und Spurverlassenswarnern oder automatisch eingreifenden Spurhalteassistenten Lane Departure Warning, Lane Support Systems, Emergency Lane Keeping (LDW, LSS, ELK). Änderungen und Neuerungen in den Testspezifikationen fließen umgehend in die Entwicklung ein und garantieren damit eine kontinuierliche Aktualität des Komplettsystems.

Automatisierte Realfahrversuche mit Bewertung aktiver Sicherheistssysteme

Der automatisiert beziehungsweise robotisch gefahrene Realfahrversuch bildet in der heutigen Entwicklung neuer Fahrzeuggenerationen einen zentralen Bestandteil zur Bewertung aktiver Fahrzeugsicherheits- und Fahrerassistenz-systeme (FAS). Insbesondere im Hinblick auf eine abschließende Bewertung und Homologation zur Typgenehmigung ist er mittelfristig nicht zu ersetzen. Nichtsdestotrotz besteht in weitaus früheren Abschnitten der Fahrzeugentwicklung ein Interesse, die Wirksamkeit eines potenziellen FAS bewerten zu können, sowohl hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Unfallvermeidung, die Unfallschwereminderung, das Verkehrsgeschehen im Allgemeinen als auch auf die Akzeptanz durch den Nutzer.

Seit einigen Jahren forscht die AMFD für diese Zwecke in Kooperation mit einschlägigen Forschungseinrichtungen und Partnern aus der Industrie intensiv im Bereich der virtuellen Simulation und insbesondere der Fahrermodellierung, um die Auswirkungen auf das Verkehrsunfallgeschehen bewertbar machen zu können. Erst wenn die Simulationen für unterschiedliche Szenarien/Unfalltypen im Vergleich zu Unfalldatenbanken vergleichbare Ergebnisse liefern, lassen sich die Auswirkungen automatisiert beziehungsweise hochautomatisiert fahrender Verkehrsteilnehmer auf das gesamte Verkehrs(-unfall)geschehen bewerten.

Wichtig ist außerdem die Betrachtung des Fahrers innerhalb eines assistierten oder automatisierten Fahrzeugs und speziell die Akzeptanz der Systeme durch den Fahrer. An dieser Stelle sind Fahrsimulatorstudien ein geeignetes Werk- zeug, da sie einerseits die Akzeptanz und damit indirekt die Wirksamkeit eines Systems bewertbar machen (ein nicht akzeptiertes und abgeschaltetes System bringt keinen Mehrwert), andererseits aber auch den Komfortgewinn für den Fahrer beleuchten.

Ausblick

Die AMFD und der Lehrstuhl für Kraftfahrzeugtechnik, insbesondere der Fachbereich Fahrzeug- und Verkehrssicherheit, arbeiten intensiv auf den beschriebenen Gebieten und bringen wissenschaftliche Erkenntnisse in die Entwicklung zukünftiger Sicherheitssysteme ein. Zur Zentralisierung dieser Aktivitäten soll mittelfristig ein Active Safety Center Dresden entstehen, in dem unter anderem die Bestandteile „hochdynamischer Fahrsimulator“ und die Durchführung automatisierter Realfahrversuche in Kooperation mit örtlich ansässigen Partnern zusammengeführt werden können. Dabei muss das zukünftige Ziel automatisiert gefahrener Realfahrversuche darin bestehen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Forschung in die Spezifikationen zukünftiger Testszenarien und letztendlich die Gesetzgebung einzubringen, um einerseits den Sicherheitsgewinn maximieren zu können und andererseits die Komplexität der Systeme mit ihren zahlreichen Funktionen beherrschbar gestalten zu können, sowohl in der Entwicklung als auch im finalen Absicherungstest.

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